von Mia Hitrik, Zoé Tornow

Am Montag, den 7. November 2022 besuchte die Q3 (13. Klasse) die Gedenkstätte Hadamar. Diese war während der Zeit des Nationalsozialismus eine Tötungsanstalt, in der circa 10.000 Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen ermordet wurden.

Schon beim Eintreffen in den kleinen Ort bekamen wir ein schauerliches Gefühl. Der Nebel in der Luft machte die Situation noch trüber und bedrückender. Zuvor war der Jahrgang aufgeteilt worden, so dass wir nach der Ankunft in kleineren Gruppen von verschiedenen leitenden Personen der Gedenkstätte durch den Tag begleitet wurden.

Zunächst bekamen wir Zitate und Gesetztestexte, die wir einem Zeitstrahl von 1880 bis 2020 zuordnen sollten. An den Zitaten war es erschreckend zu sehen, wie entwürdigend über Menschen mit Behinderung hinweg gesprochen wurde. Am entsetzlichsten fanden wir die Gesetzestexte aus den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts, die diese Menschen zu einer Sterilisation gezwungen hatten, bis hin zur Rechtfertigung ihrer Ermordung. Uns wurde ebenfalls ein Zitat aus einem Brief der AfD aus dem Jahre 2021 vorgelegt. In diesem Brief nahm die AfD im Rheinland-Pfälzer Landtag Stellung zu den hohen Haushaltsausgaben für Sozialleistungen, welche anhand eines Beispiels von zwei Brüdern mit Behinderung argumentierte. Diese betitelten sie nicht nur als „Problemfälle“, sondern hoben dramatisch hervor, wie viel die beiden die Steuerzahlenden denn jährlich kosten würden. Die Aussage der AfD erinnerte uns alle stark an Propagandaplakate aus dem Nationalsozialismus, in denen Menschen ebenfalls durch Geld ihr Wert in der Gesellschaft zu- oder abgesprochen wurde.

Die Leiterin stellte uns danach verschiedene Biografien von Opfern vor. Besonders schockierend waren vor allem die vielen kleinen Kinder, die ermordet wurden, wobei uns jedes Einzelschicksal sehr naheging.

Anschließend schauten wir uns die ehemalige Busgarage an, die hinter der Klinik steht und an der damals die Menschen kurz vor ihrer Ermordung ankamen.

Doch wie wurde eigentlich entschieden, wer nach Hadamar kam? Mit dieser Frage beschäftigte sich die T4-Zentrale in Berlin, welche Bögen der Betroffenen an die Krankenhäuser und psychiatrischen Anstalten schickte. Diese beinhalteten allgemeine Fragen zur Person, wie lange diese schon dort sei, ob sie regelmäßig Besuch bekäme und was und wie lange sie gearbeitet habe. Erschreckend hieran ist, nach welchem Schema vorgegangen wurde: Man maß und beurteilte die Patientinnen und Patienten nach ihrem Nutzen, d.h. in anderen Worten, wie viel Geld sie der Gesellschaft einbrachten oder ob sie ihr zur Last fielen. Außerdem wurden sie bespitzelt, um in Erfahrung zu bringen, wer regelmäßig Besuch bekam, damit es kein großes Aufsehen erregte, wenn sie auf einmal nicht mehr da waren. Die erwähnten Bögen wurden dann von Bediensteten im ärztlichen Auftrag und Mitarbeitenden der T4-Zentrale ausgewertet, woraufhin die Untersuchten vor ihrer Verlegung nach Hadamar zunächst in eine Zwischenanstalt transportiert wurden. Von diesen wurden sie in 20 bis 25 Personen großen Gruppen von Bussen abgeholt, wobei die Busfenster mit Gardinen versehen waren, damit man von außen nicht sehen konnte, wer sich darin befand. Auch die Bevölkerung konnte so von außen nicht erkennen, was in den Bussen bzw. in den Kliniken in ihrer Stadt vorging. Erst als die Busse in die Busgaragen vollständig eingefahren und die Tore dahinter verschlossen worden waren, durften die Personen aussteigen. Bis zu diesem Zeitpunkt dachten sie immer noch, sie seien nur verlegt worden oder würden einen Ausflug unternehmen.

Nach ihrer Ankunft in Hadamar wurden sie in einen großen Raum mit vielen Betten geführt, wo jeder eins zugeteilt bekam. Daraufhin wurden sie aufgefordert, sich auszuziehen und einen schwarzen Mantel anzulegen. Danach wurden sie einem Arzt vorgestellt, der sie mit dem alleinigen Zweck untersuchte, eine mögliche Todesursache für die spätere Sterbeurkunde zu bestimmen. Hinterher führte man sie in den Keller, wo sie „duschen“ sollten. Jedoch war dies die Gaskammer, wo sie alle hineingingen und hinter luftdichten Türen eingeschlossen wurden.

Nachdem der Gashahn mit dem tödlichen Kohlenstoffmonoxid aufgedreht worden war, dauerte es nicht lange, bis alle darin erstickt waren. Anschließend zog man sie über ein Schleifband zu den Verbrennungsöfen, wo sie letztlich verbrannt wurden. Allerdings war der Rauch, der dabei aufstieg, in der ganzen Stadt sichtbar und einige Ortsansässige sprachen sogar von einem gewissen Geruch, der sich seitdem über Hadamar niedergelassen hatte.

Standort des Krematoriumofens. Foto: Mia Hitrik

Leider war dies erst der Anfang. Denn nach dieser ersten Phase wurde vorerst beschlossen, mit der Vergasung aufzuhören, da die Aktion bis hierhin sehr erfolgreich verlaufen war und man nicht riskieren wollte, die Bevölkerung darauf zu lenken.

Folglich begann die zweite Phase circa ein Jahr später, in der man sich nicht mehr nur auf Menschen mit Behinderung fokussierte, sondern auch auf Halbjüdinnen und Halbjuden sowie Gastarbeitende.

Von da an ging man hingegen anders vor: Nach ihrer Ankunft wurden diese in die Kategorien „arbeitsfähig“ und „nicht arbeitsfähig“ unterteilt. Die einen sollten in der Anstalt arbeiten, die anderen wurden mit einer Überdosis Morphium getötet, da sie keinen vermeintlichen Nutzen mehr erbringen konnten.

Die Lebensbedingungen waren insgesamt fatal und es war schier unmöglich, bei der schweren Arbeit und der geringen zur Verfügung gestellten Verpflegung zu überleben. Daher schafften dies auch nur knapp 10 %.

Aus diesem Grund stellte sich nun die Frage, wo die ganzen Leichen entsorgt werden sollten; sie konnten nämlich nicht an die Angehörigen zurückgeschickt werden. Hätte man sie alle auf dem städtischen Friedhof begraben, hätte das Fragen aufgeworfen. So errichtete man stattdessen Massengräber hinter der Klinik auf den Weinbergen, um für den Fall, dass Angehörige der Bestattung beiwohnen wollten, den Schein zu wahren.

Daher schauten wir uns ebenfalls den Keller der Klinik an, wo sich früher die Gaskammer, der Sezierungsraum und die zwei Verbrennungsöfen befanden. Es war äußerst unheimlich und bedrückend, die Räume zu betrachten und noch unfassbarer war es zu begreifen, wie viele Menschen dort auf dem Boden, auf dem wir standen, ihr Leben verloren hatten.

Anschließend ging es wieder nach draußen. Gleich hinter der Klinik befindet sich ein stufiger Weg hoch auf den Weinberg, auf dem sich damals das große Massengrab befand. Jedoch machte die Atmosphäre die Situation etwas beschwerlich zu begreifen. Es scheint so, als hätte man dort wortwörtlich in den letzten Jahren „Gras über die Sache wachsen lassen“. Denn heutzutage findet man dort eine Landschaft vor, die eher an eine Parkanlange als an die grauenhafte Vergangenheit dieses Ortes erinnert.

Dort oben angelangt trug uns die Leiterin zum Abschluss ein kurzes Gedicht vor:

Gespräch mit einem Überlebenden – von Erich Fried

Was hast du damals getan, was du nicht hättest tun sollen? Nichts.
Was hast du nicht getan, was du hättest tun sollen? Das und das. Dieses und jenes. Einiges.
Warum hast du es nicht getan? Weil ich Angst hatte.
Warum hattest du Angst? Weil ich nicht sterben wollte.
Sind andere gestorben, weil du nicht sterben wolltest? Ich glaube ja.
Hast du noch etwas zu sagen zu dem, was du nicht getan hast?
Ja. Dich zu fragen, was hättest du an meiner Stelle getan?
Das weiß ich nicht. Und ich kann über dich nicht richten. Nur eines weiß ich: Morgen wird keiner von uns leben bleiben, wenn wir heute wieder nichts tun.

Denkmal für die Opfer. Foto: Mia Hitrik

Wir verließen den Ort mit einem beschwerlichen Gefühl und etwas Traurigkeit. Die Busfahrt zurück war geprägt von vielem Nachdenken. Jedoch sind wir alle froh darüber, dass wir viel Wichtiges und Neues erfahren haben. Bei einigen aus der Schülerschaft kam der Wunsch auf, sich mehr und intensiver mit dieser Thematik in der Schule auseinanderzusetzen. Denn man darf niemals vergessen, was damals passiert ist, und es ist nur gerecht gegenüber den Opfern, sich immer wieder mit ihren verschiedenen Geschichten auseinanderzusetzen.

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