von Dorian Brocke, Robin Herrmann

Sebastian Wasserka ist nun seit über einem Jahr unser neuer Schulleiter an der Albert-Schweitzer-Schule (ASS). Um ihn etwas näher kennenzulernen und einen kleinen Einblick hinter die Kulissen des Schulleiterdaseins zu ermöglichen, haben wir Herrn Wasserka interviewt.

Wir fangen zunächst mit etwas persönlicheren Fragen an. Wie sind Sie nach rund einem Jahr an der ASS angekommen?

Ich glaube, mittlerweile habe ich mich ganz gut eingelebt. In meiner eigenen Wahrnehmung ist es so, als wäre ich nie woanders gewesen. So ist auch mein Gefühl. Ich bin sehr nett vom Kollegium, von den Kolleginnen und Kollegen der Schulleitung, vom Sekretariat und auch von dem, was über der Schulleitung kommt, also vom Schulamt und Schulträgern etc., gut aufgenommen worden. Insofern fühle ich mich sehr wohl hier.

Wenn Sie sich mit drei Begriffen beschreiben müssten, welche wären es?

Das ist immer schwierig. Ich glaube, es ist besser, wenn jemand jemanden beschreibt, der einen von außen beobachten kann. Sich selber zu beschreiben, ist immer schwer. Meine Frau sagt immer, dass ich sehr pragmatisch bin. Ich mache sehr viel – meine Frau würde sagen: nichts davon richtig –, aber ich versuche vieles anzugehen. Ja, Pragmatismus ist in meinem Job auch von Bedeutung. Sagen wir es einmal so: Es muss nicht alles perfekt und schön sein, aber es muss funktionieren. Das ist meine Grundeinstellung. Ein Perfektionist bin ich nie gewesen. Im Wesentlichen bin ich positiv eingestellt und suche eher die positiven als die negativen Aspekte und ich glaube, ich bin auch persönlich humorvoll. Auch da würde meine Frau sagen, dass mein Humor nicht für jeden geeignet ist.

In der Offenbach Post wurde ein Artikel über Sie veröffentlicht mit dem Titel „Von Prag nach Offenbach“. Was hat es mit diesem Titel auf sich?

Ich sage es einmal so: Ich komme aus einer Familie mit nicht viel Kapital. D.h., ich habe studiert und bestimmt 20 bis 40 Stunden in der Woche nebenbei gearbeitet und noch Fußball gespielt. So konnte ich auch das Leben ein bisschen genießen. Und weil dies alles Geld kostet, musste ich relativ schnell fertig werden. Ich habe direkt mit 23 Jahren das Referendariat angefangen und hatte das große Glück, dass ich zwei Jahre später eine feste Planstelle an einem Gymnasium in Dortmund bekommen habe. Der Vorteil war: Ich war damals mit allem relativ schnell fertig. Der Nachteil war, dass ich das Studentenleben, das In-das-Ausland-Gehen, verpasst habe. Einen längeren Urlaub, verglichen mit einer Weltreise, habe ich nicht gemacht. Dennoch hat mich das Ausland sehr interessiert. Von einem Kollegen habe ich schließlich erfahren, dass es so etwas wie Auslandsschulen gibt. Solch eine Auslandsschule wollte ich besuchen. Somit habe ich mich an einer Schule in Prag beworben und wenig später eine Zusage erhalten. Zwar ist Prag für mich nicht das große Abenteuer gewesen, aber es war trotzdem eine schöne Zeit.

War das der mutigste Schritt in Ihrem Leben?

Nein. Das Mutigste, was man machen kann, ist die Entscheidung zu treffen, Kinder zu bekommen. Nachvollziehen kann man das bestimmt erst später. Was würde mir denn in Prag passieren? In Prag war ich weiterhin Beamter im deutschen Staatsdienst. Letztlich habe ich nur woanders gewohnt. Für mich entstand nie ein berufliches oder ein finanzielles Risiko. Wenn man eigene Kinder hat, dann ist das eine Herausforderung. Aber auch das ist schön.

In dem genannten Artikel meinen Sie, dass der Standort Offenbach eine Herausforderung sei. Wieso denken Sie dies?

Das muss man immer unter mehreren Aspekten sehen. Herausforderung bedeutet nicht direkt etwas Negatives. Das soll nicht heißen, dass Offenbach eine Katastrophe ist und man deswegen dorthin gehen muss. Der Standort Offenbach hat gewisse Faktoren, die berücksichtigt werden müssen. Ein Faktor ist, dass Offenbach in Deutschland die Großstadt mit der höchsten Zuwachsrate ist. Das liegt daran, dass viele Baugebiete entstehen und unglaublich viele Frankfurter nach Offenbach ziehen. Dies sind meist Familien mit Kindern. Es entsteht so ein immenser Druck auf Kindergärten und auf die Schulen. Die ASS war ursprünglich für vier Parallelklassen geeignet. Dann wurde angebaut und es wurden fünf Parallelklassen. Jetzt haben wir sechs Parallelklassen, durchgehend mit zwei Intensivklassen. Die daraus resultierende Anzahl an Schülerinnen und Schülern, die jetzt dazu gekommen sind, stellt eine Herausforderung dar. Dazu hat die Stadt Offenbach verhältnismäßig wenig Kapital, wodurch die finanzielle Unterstützung seitens der Stadt leider sehr begrenzt ist. Ein weiterer Faktor ist der Migrationsanteil. Das ist auf der einen Seite toll, da es viele Aspekte und Multi-Kulti sowie Modernisierung mit sich bringt, aber im Gegenzug entstehen dadurch auch irgendwann einmal Konflikte, die innerhalb einer Schule existieren. Nicht außer Acht zu lassen ist, dass wir eine innerstädtische Schule sind, welche noch einmal anders zu betrachten ist als eine Schule auf dem Land.

Jetzt machen wir mit unseren schulbezogenen Fragen weiter. Wie wird man Ihrer Meinung nach ein guter Schulleiter?

Das ist eine gute Frage. Ich weiß gar nicht, ob ich das beurteilen kann. Als Schulleiter muss man sich von der Ich-Perspektive distanzieren. Man ist verantwortlich für das System. In der Albert-Schweitzer-Schule kommen 1400 Schülerinnen und Schüler, 120 Lehrkräfte, Schulverwaltungskräfte und Hausmeister sowie alle, die noch dazugehören, zusammen. Das Wichtigste, wenn man den Posten eines Schulleiters besetzen möchte, ist, dass man von seiner eigenen Person wegkommt und sich nicht fragt, was für einen selbst das Beste ist, sondern systemisch, was für die Schule das Beste ist. Dies ist für mich die Grundvoraussetzung, welche jeder Schulleiter haben sollte.

Was macht einen typischen Arbeitstag bei Ihnen, also bei einem Schulleiter, aus?

Mein Arbeitstag ist ganz anders als bei einer Lehrkraft. Bei mir gibt es ganz viele verschiedene Arbeitstage, wobei der, den ich jetzt beschreibe, am häufigsten vorkommt. Dieser beginnt bei mir um 6:18 Uhr im Zug. Meistens fange ich in dieser Zeit damit an, E-Mails zu beantworten und zu schreiben. Dann komme ich gegen 7:30 Uhr hier an der Schule an. Der Vormittag ist meistens relativ entspannt und ich komme dazu, einiges abzuarbeiten. Ab ca. 11:00 Uhr habe ich nach und nach verschiedene Termine und im Idealfall versuche ich mich jeden Tag um 15:30 Uhr auf den Nachhauseweg zu begeben. Auf der Heimfahrt beantworte ich im Zug wieder eine Stunde lang E-Mails und bin dann gegen 17 Uhr zu Hause. Heute aber zum Beispiel habe ich noch bis 22 Uhr hier in Offenbach einen Termin – solche Tage, an denen es länger wird, gibt es natürlich auch.

Welche schulischen Bereiche haben Ihrer Meinung nach in Zeiten von Corona am meisten gelitten? Und wie gehen Sie damit um?

Schule hat im Allgemeinen in allen Belangen massiv gelitten. Ein wesentliches Problem ist, dass der soziale Kontakt sehr zurückgegangen ist. Vieles hat sich ins Digitale verlagert. Handys, WhatsApp und Instagram werden viel verwendet, dennoch muss man den Umgang damit erst lernen. Ein großes Problem der Gesellschaft sind Hasskommentare. Ich glaube, die Auswirkungen auf Jugendliche, wenn z.B. auf Instagram negative Erfahrungen gesammelt werden, hinterlassen viele Spuren. Das ist ein Problem, welches zwar nicht durch Corona entstanden ist, aber an Bedeutung zugenommen hat und daraus resultiert die Aufgabe der Schule für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre, Medienpädagogik einen höheren Stellenwert einzuräumen. Die restlichen Corona-Folgen werden sich, so denke ich, verlaufen.

Was ist Ihnen aus Ihrer eigenen Schulzeit noch in Erinnerung geblieben?

Freunde sind mir geblieben. Das ist das Einzige aus meiner Schulzeit, an das ich noch Erinnerungen habe. Sonst habe ich rückblickend wenige positive Erfahrungen gemacht. Für mich ist nach der Schulzeit durch den Wechsel auf die Universität ein großes Problem entstanden. Damals wusste ich nicht wirklich, was auf mich zukommen würde. Der Umstieg war für mich mit vielen Veränderungen verbunden und das erste Jahr an der Universität für mich sehr schwer. Die Aufgabe der Schule, auf das Studieren vorzubereiten, wurde in meiner Schulzeit nicht erfüllt. Ich habe in der Nähe von Chemnitz Abitur gemacht. Meiner Meinung nach leisten die Schulen in Hessen, speziell die Offenbacher Schulen, in dieser Hinsicht eine bessere Vorbereitung und ich bin davon überzeugt, dass hier an unserer Schule mehr in dieser Richtung passiert.

Was war Ihr bisher schönstes Erlebnis während Ihrer Zeit an unserer Schule?

Als Schulleiter muss man sich häufig mit dem Negativen befassen. D.h., es kommt niemand zu mir und sagt, dass die Deutscharbeit sehr gut ausgefallen ist. Wenn, dann kommt man, um sich zu beschweren, beispielsweise über die Arbeitsmoral einer Klasse. Und das sind nicht nur Lehrkräfte, sondern ebenfalls Schülerinnen und Schüler. Hier habe ich persönlich aber auch bereits positive Erfahrungen gesammelt. So war die erste Rückmeldung der Schulinspektion zum Beispiel, dass wir eine super Schülerschaft hätten. Wir haben ein sehr gutes Kollegium, bei welchem man erst bei genauerem Hinsehen bemerkt, was es alles leistet. Mir ist ebenfalls der Schuljahreswechsel sehr positiv aufgefallen. Womöglich hat die Schülerschaft das nicht bemerkt, aber wir hatten letztes Schuljahr über hundert Lernende weniger. Wir haben also die Anzahl deutlich erhöht und das bedeutet ebenfalls, dass wir mehr Personal einstellen und schauen mussten, wie wir die Raumeinteilung und die Stundenpläne gestalten. Das hat relativ gut funktioniert, was für mich ein Moment der Erleichterung war.

Inwieweit haben Sie bisher die Albert-Schweitzer-Schule zum Besseren verändern können?

Ich bin nur derjenige, der die Veränderungswünsche der Lehrkräfte aufgreifen und dann die Rahmenbedingungen für deren Umsetzung schaffen muss. Und da haben wir im letzten Jahr schon einiges verändert. So haben wir beispielsweise die digitalen Tafeln installiert und die gesamte Schule mit WLAN ausgestattet. Auch haben wir es geschafft, die Lehrerschaft ausreichend aufzufüllen, nachdem das Kollegium in den letzten Jahren deutlich unterbesetzt gewesen war. Jetzt ist das Verhältnis von Lernenden und Lehrenden wieder in etwa ausgeglichen. 

Wo sehen Sie die Albert-Schweitzer-Schule in zehn Jahren? Und welche Rolle spielen Sie dabei?

Ich habe vor, als Schulleiter noch mindestens zehn Jahre hierzubleiben und wahrscheinlich auch noch deutlich länger. In meinen Augen steht die Schule vor einem unglaublich großen Umbruch. Habt ihr im Geschichtsunterricht aufgepasst? Man sagt, es gebe immer gewisse Umbrüche in der Geschichte, bei denen sich deutlich etwas für das Leben der Menschen verändert. Heute reden wir davon, dass zum Beispiel die Videoplattform TikTok eine Aufmerksamkeitsspanne von 15 Sekunden pro Video fördere. Und so verändert sich auch die Aufmerksamkeitsspanne jedes Einzelnen. Das bedeutet im Gegenzug, dass es einem immer schwerer fällt, ein Buch wie den „Faust“ in einem Schwung durchzulesen. Die Schule wird sich irgendwann diesen gesellschaftlichen Umbrüchen anpassen müssen und sich in den nächsten zehn Jahren stark verändern. Es wird um das Einbinden von digitalen Medien in den schulischen Alltag gehen und um das Schaffen von neuen Unterrichtskonzepten. Hinzu kommt, dass sich der Bildungsbegriff im Allgemeinen verändern wird. Es werden also massive Veränderungen auf die Schulen zukommen und ich bin gespannt, wo wir dann wirklich in zehn Jahren stehen werden. Wir als Schule haben aber sehr gute Voraussetzungen. Auf der einen Seite ist eine großartige Schülerschaft mit einer soliden Anzahl an Schülerinnen und Schülern vorhanden, auf der anderen Seite ein super Kollegium, welches langsam an Stabilität gewinnt. Es werden nicht mehr viele neue Lehrkräfte eingestellt, jedoch werden uns auch nicht viele Lehrkräfte in naher Zukunft verlassen. Wir haben also als ASS eine gute Basis, um zuversichtlich in die Zukunft blicken zu können.

Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um mit uns dieses Interview durchzuführen.

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